Kollabierende Liturgie - Feuer am Dach?

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Annemarie

Re: Kollabierende Liturgie - Feuer am Dach?

Beitrag von Annemarie » Sa Jun 29, 2019 6:55 pm

Wir haben nur deshalb "Feuer am Dach", was die offensichtliche, nicht mehr vorhandene "Attraktivität" unserer Gottesdienste bei vielen Menschen betrifft, weil die Herren Pfarrer und die für die Liturgie verantwortlichen Kirchenmänner in der Regel anscheinend damit überfordert sind, uns eine tragfähige Brücke zur "heiligen Messe" zu bauen.
Was wir heute am wenigsten brauchen können, sind inhaltlich und künstlerisch harmlose Gottesdienste, die ängstlich dem "Zeitgeist" geschuldet sind.
Und schon gar keine Gottesdienste, die aus lauter Linientreue an uns und unseren Bedürfnissen völlig vorbeiagieren.
Dass es auch ganz anders gehen kann, hat unlängst in Zams Pfarrer Herbert Traxl mit seiner ganzen Gemeinde in spürbarem Zusammenklang mit Peter Jan Marthé mit seinem angereisten, mitreißenden Ensemble unmissverständlich demonstriert. Ausgerechnet bei solchen Ereignissen ist jedoch von zuständigen Kirchenfunktionären, die eigentlich daran allergrößtes Interesse haben müssten, um das "Feuer am Dach" wirksam zu bekämpfen, weit und breit nichts zu sehen. Interessant!

Peter Jan

Re: Kollabierende Liturgie - Feuer am Dach?

Beitrag von Peter Jan » Do Jun 20, 2019 2:12 pm

Lieber Stefan,

als ich von deinem Posting hier in Kenntnis gesetzt wurde, habe ich lange hin und herüberlegt, ob ich mich öffentlich zu Wort melden soll oder nicht. Deine ebenso mutigen, offenherzigen wie auch mitreißenden Zeilen (du hängst dich hier ziemlich weit aus dem Fenster! Dreimal Chapeau!!!) haben jedoch sehr schnell meine Bedenken zerstreut.

Es beeindruckt mich tief, dass ein junger Theologe und Kirchenmusiker so klar Stellung bezieht zu einem Thema, das gemäß der neuesten statistischen Erhebungen für beinahe neunzig Prozent der Christenmenschen heute eben KEIN Thema mehr ist: die Heilige Messe (oder Eucharistie oder Göttliche Liturgie)!

Du schreibst „.....ich würde mich gerne auf eine Diskussion mit ihm einlassen.“
Einverstanden! Dann erlaube mir, den Anfang zu machen.
Du schreibst also, dass für dich als Christ und Kirchenmusiker der Sinn von Liturgie genau darin liegt, den Menschen Erfahrung mit Gott zu ermöglichen, die Menschen durch die Liturgie in Beziehung mit Gott treten zu lassen.

Wunderbar! Das kann ich nur voll und ganz unterschreiben! Aber der Motor kommt sogleich mal ganz schnell ins Stottern, wenn wir als nächstes eine entscheidende Frage klären müssen. Schön und gut, durch die Liturgie die Menschen in Beziehung mit Gott treten zu lassen, aber: Messe ist eben nicht gleich Messe! Ganz im Gegenteil! WIE muss eine Liturgie gestaltet, ausgestattet, „inszeniert“ sein, dass dieses in Beziehung treten auch tatsächlich funktioniert? Denn wenn das alles eben keine Rolle spielen würde, wie die Institution nicht müde wird, zu versichern, warum dann diese gewaltige Massenflucht aus den Gottesdiensten?

Auch wenn Amtsträger der Kirche naturgemäß dazu neigen, vor den beinharten Fakten der Realität den Kopf in den Sand zu stecken – von keinem Geringeren als Papst Benedikt XVI. höchstpersönlich stammt der bemerkenswerte Sager (ich zitiere sinngemäß):
„Wenn es der Kirche nicht umgehend gelingt, das Problem einer kollabierenden Liturgie in den Griff zu bekommen, haben wir Feuer am Dach.“

Das Problem haben wir nicht in den Griff bekommen und das prophezeite Feuer ist längst zu einem veritablen Großbrand geworden.

Und das ist die Stunde der „ERDWÄRTSMESSE“, die irgendwann einmal vom Volk Gottes zur „DIE Volksmesse“ proklamiert wurde.

Du schreibst „.....ich sehe die EWM nicht als einzige Messe. Sie ist eine unter vielen.“

Sorry, aber da muss ich dich ganz entschieden korrigieren! Sie ist ganz sicher NICHT nur "eine unter vielen Messen"! Dieses geflügelte Wort im Zusammenhang mit der „ERDWÄRTSMESSE“ wird immer wieder gerne und schnell von so manchen Oberhirten und kirchlichen Funktionären verwendet, wenn sie sich dieses für sie unangenehmen Themas auf möglichst einfache Weise entledigen wollen. Das Volk Gottes dagegen sieht das ganz anders, wie wir inzwischen wissen. Siehe die vielen Postings hier!

Diese „ERDWÄRTSMESSE“ ist deshalb nicht „eine unter vielen“, weil sie auf einem ganz anderen Fundament aufgebaut ist, das es bisher so noch nicht gegeben hat. Und dieses Fundament besteht in einem grundsätzlich ANDEREN Zugang zu dem niemals wirklich auslotbaren Mysterium „Heilige Messe“, als wir im Römisch-Katholischen-Katechismus übermittelt bekommen.

Eine Blasphemie, solches überhaupt auch nur zu denken wagen, wie mir einmal die Generaloberin eines bekannten Frauenordens an den Kopf geworfen hat? Keineswegs!

Sowie der Mensch bekanntlich geistig, spirituell wächst, sich weiterentwickelt, sein Bewusstsein weitet, genauso wächst auch das Verständnis von „Dingen“, die für den Menschen existentielle Bedeutung haben.
Wir haben heute zur „Hohen Messe“ von J. S. Bach eine völlig andere Beziehung, ein unendlich tieferes Verständnis als die Menschen noch vor dreihundert Jahren. Warum sollte sich das Verständnis des zentralsten Mysteriums der Christenheit, die Heilige Messe/Eucharistie/Göttliche Liturgie nicht ebenso gravierend vertieft und geweitet haben?

Lehramt hin oder her, es geht schließlich und endlich nur um dich und mich in der tiefsten Tiefe unseres Herzens, wenn wir in der Heiligen Messe/Eucharistie/Göttliche Liturgie stufenweise d.h. "initiatorisch" die Acht heilenden Räume der Begegnung mit GOTT durchschreiten.
Die „ERDWÄRTSMESSE“ ist auch deshalb nicht eben nur „eine unter vielen Messen“, weil zu ihr neben den Gesängen und der „Magie der beseelten Klänge“ auch ein ganz eigenes „Text- und Ritualbuch“ gehört sowie eine speziell ausgeformte Dramaturgie, und erst im Zusammenspiel aller dieser Elemente die Grundlage für eine unmittelbare, authentische und heilende Begegnung mit GOTT geschaffen ist.

Fazit: es geht also keineswegs um die Profilierungssucht und den Absolutheitsanspruch oder wenn nicht gar Größenwahn eines einzelnen, überkandidelten Künstlers, sondern darum, dass wir gemeinsam alles in Gang setzen, was wir aufzubieten haben, um das HERZSTÜCK unseres Glaubens, den größten spirituellen Schatz, den wir haben (und der übrigens auch konkurrenzlos ist!) – das größte Kunstwerk aller Zeiten, die Heilige Messe/Eucharistie/Göttliche Liturgie – wiederzubeleben, damit jene ungeheure Passage des Paulus nicht nur eine leere Phrase bleibt, sondern eben durch die Heilige Messe/Eucharistie/Göttliche Liturgie umwerfende Wirklichkeit werden kann:
„Kein Auge hat jemals gesehen, kein Ohr hat es je vernommen, selbst die allerkühnste Fantasie eines Menschen vermag sich nicht annähernd auszumalen, was GOTT für die bereithält, die sich IHM in Liebe nähern.“
1 Kor 2,9

Wozu sollte die Heilige Messe/Eucharistie /Göttliche Liturgie sonst da sein, wenn nicht dafür, diese überwältigende Erfahrung allen Menschen zu schenken, die danach Sehnsucht haben?

Peter Jan Marthé
Komponist der „ERDWÄRTSMESSE“

Stefan

Kollabierende Liturgie - Feuer am Dach?

Beitrag von Stefan » Do Jun 20, 2019 2:11 pm

Zum ersten Mal in Kontakt mit der EWM kam ich 2010 in Brixen, als diese im Rahmen des Symposiums von Musik und Kirche Brixen zur Aufführung kam.

Damals war ich fasziniert von den Klängen, die den Dom füllten. Ich war begeistert und hatte Gänsehaut. Ein Gefühl, welches bei mir immer dann auftritt, wenn mir bewusst wird, dass es mehr in der Welt gibt, als ich erfassen kann.

Mit diesen Hintergedanken fuhr ich im Herbst 2018 als Zuhörer nach Hall. Und ich muss sagen: Ich war baff.
Gleich zu Beginn wurde mir bewusst: Zuhörer konnte ich nicht bleiben. Ich musste mitsingen, ich wurde von den Klängen mitgerissen.
Die brausende Orgel, die festlichen Bläser und nicht zuletzt die erhebenden Chorklänge setzten wieder Gänsehaut frei. Ich würde es heute als Gotteserfahrung bezeichnen.

Das ist es, was für mich als Christ und Kirchenmusiker ganz wichtig ist: Keine Aufführung zu machen, keinen Gottesdienst zu umrahmen, sondern den Menschen Erfahrung mit Gott zu ermöglichen.
Genau das ist für mich auch der Sinn von Liturgie; die Menschen in Beziehung mit Gott treten zu lassen.
In Hall war für mich alles stimmig. Das Zusammenspiel von liturgischen Diensten mit dem Chor. Aber noch wichtiger, die Einbeziehung der Teilnehmer in das Geschehen, der Eucharistie, der Danksagung Gottes.

Wie oft erlebe ich, dass ein Chor etwas singt und die Besucher stumm da sitzen. Dieser Gottesdienst war anders, alle wurden einbezogen und konnten sich einbringen, aktiv ihre "Stimme" einbringen, wie es das 2.Vatikanische Konzil mit dem Schlagwort "participatio actuosa" zum Ausdruck bringt. Es war für mich einer der schönsten Gottesdienste in meinem Leben.

Nach dieser Messe in Hall kam ich zum ersten Mal in Begegnung mit den Sängern, dem Chorus Harmonia Mundi. Ich merkte gleich bei der ersten Probe: Normal ist dieser Chor nicht! Die Sängerinnen und Sänger sind irgendwie anders. Irgendwie freundlicher, sie sind irgendwie intensiver dabei. Es geht nicht darum, eine perfektes Konzert zu machen, sondern es geht darum, das zu verstehen und zu verinnerlichen, was sie singen.
Anfangs war das für mich sehr befremdlich und ich verstand nicht den Sinn dieser fast peinlich detaillierten Art des Probens. Doch dann merkte ich, erst wenn man etwas aus dem Herzen singt, ist es wirklich Musik.
Was in dieser Musik passiert, schafft kein Konzertchor, kein Profichor, keine CD Aufnahme: Sie lässt den Menschen nicht kalt, sie bewegt!

Gar einigem, was Peter in der Probe in Bezug auf Kirche und Glaube sagt, stimme ich als Theologe nicht zu. Ich würde ihm zu gern manchmal widersprechen, mich auf eine Diskussion mit ihm einlassen. Auch sehe ich die EWM nicht als einzige, oder gar sakrosankte Messe. Sie ist eine unter vielen.
Jedoch kenne ich bisher kein vergleichbares Beispiel einer Musik, die mich so zu Gott gebracht habt, wie diese Messe.

Alle Vorbehalte, Ablehnungen oder Distanzierungen von Kirchenoberen oder Priestern in Bezug auf die EWM kann ich als Fachtheologe nicht verstehen.
Ich muss nicht alle Meinungen des Komponisten teilen, aber das ist doch gerade das spannende, was Theologie und Glaube ausmacht. Gemeinsam auf die Suche nach Gott zu gehen und dabei verschiedene Zugänge zuzulassen.

Ich würde mir wünschen, dass die Messe irgendwann wieder einmal in Südtirol gesungen wird.
Und ich bete dafür, dass das Lob Gottes weiterhin durch diese Melodien erklingen darf, die Menschen berührt, bewegt und Gotteserfahrung ermöglicht.

Stefan Plattner, Chorleiter und Theologe, 27 Jahre

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