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von Isolde » So Aug 04, 2019 1:55 pm
I/1 - Gelesen in: "Christ & Welt" Wochenzeitung für Glaube, Geist, Gesellschaft, Nr. 28 - 4. Juli 2019
MACHT GLAUBE GLÜCKLICH?
Hartmut Rosa, Jahrgang 1965, Professor für Soziologie an der Universität Jena und Erfurt kann aus seiner sozialphilosophischen Perspektive natürlich keinen Gott annehmen, persönlich schon - so seine Rede. Jedenfalls spielt er gerne Kirchenlieder auf der Orgel und bisweilen auch einen Gottesdienst in seiner Gemeinde im Schwarzwald.
Höchst interessante Sachen erzählt nun Herr Rosa, einer der gefragtesten Soziologen Deutschlands und Entwickler der Resonanztheorie in diesem zweiseitigen Interview. Viel über den ständigen Optimierungszwang der modernen Gesellschaft (höher, schneller, weiter), über die Formen der Beziehungen, die wir zur Welt haben und natürlich über Resonanz, d.h. darüber, wie zwei Dinge miteinander in Schwingung geraten und jeweils mit dem eigenen Klangkörper antworten. "Es geht um eine Haltung des Hörens und Antwortens. Beide Seiten berühren sich, und es gibt die Chance einer Veränderung auf beiden Seiten."
Und in diesem Gespräch über Gott, Sehnsucht und Erschöpfung kommen die beiden (sein Gegenüber ist Jonas Weyrosta) auch auf den Gottesdienst zu sprechen.
Christ&Welt: Gottesdienste haben eher den Ruf, langweilige Veranstaltungen zu sein. Da stellt sich bei vielen gar kein Gefühl mehr ein.
Rosa: Ich glaube, auch das hat mit unseren Weltverhältnissen zu tun. Ein Grund dafür, dass Leute nicht mehr in den Gottesdienst gehen, liegt darin, dass er keine Deadline hat. Viele Menschen würden gerne mal wieder hingehen, aber dann passt es nie und man kann es endlos aufschieben. Genau genommen sieht man gerade, dass es alle Praktiken schwer haben, die keine Deadline kennen. Ein Ritus, der im Wesentlichen auf Wiederholung basiert, hat es erst einmal schwer gegenüber einer Haltung, die auf permanente Optimierung abzielt. Im Gottesdienst können wir erst einmal nichts Neues lernen, er bringt uns nicht voran. Aber es muss im Leben auch nicht ständig etwas Neues kommen.
C&W: Warum sollte man sich denn begrenzen? Es gibt noch so viel zu entdecken.
Rosa: Aber wir bleiben doch dabei ständig an der Oberfläche....
Wir sind ständig unterwegs, aber eigentlich halten wir uns dabei die Welt auf Distanz und verhindern, dass uns etwas berührt.
C&W: Also wäre es besser, sich zu beschränken und immer wieder das gleiche zu tun?
Rosa: Zumindest bestünde da eine größere Chance, dass wir mit der Welt in Resonanz treten. Weil wir der Welt offen begegnen, sie nicht kontrollieren, sondern sie auf uns zukommen lassen. Dabei helfen uns Rituale wie der Gottesdienst....
Das Beten ist ein gutes Beispiel für eine Resonanzpraxis. Wir wenden uns nach außen und innen zugleich. Etwas berührt unser Innerstes und steht zeitgleich in Verbindung mit einer umgreifenden Realität. In den Liedern, im Gebet kann ein Sinn für eine andere Existenz entstehen, die mich meint. Und das ist das Gegenteil davon, immer nur bei uns selbst zu bleiben. Menschen haben eine ungebrochene Sehnsucht, dem anderen zu begegnen, aber wir haben das offenbar verlernt. Die Religion wäre ein Rahmen, diese Sehnsucht auszuleben....
Wir haben längst viele Äquivalente zur Religion auf säkularer Seite, in Naturerfahrungen oder in der Esoterik. Man hört oft Sätze wie: "Ich muss mal wieder raus ins Grüne, um mich selbst zu spüren." Auch das sind Resonanzvorstellungen, das Innerste, meine Psyche tritt in Verbindung mit der äußeren Ganzheit. Das zeigt, in säkularen Gesellschaften gibt es diese Notwendigkeit, sich einer Art Resonanzbeziehung zu vergewissern.
C&W: Wird das Grundbedürfnis nach Religion trotzdem bleiben?
Rosa: Das Bedürfnis wird immer bleiben. Aber die Kirchen haben ein ganz anderes Problem: Viele Pfarrer stehen wie ein Lehrer vor einer Klasse und haben das Gefühl, die Schüler hören ihnen eh nicht mehr zu. Sie erreichen ihre Zuhörer nicht mehr. Das wäre allerdings wichtig, sonst entsteht eine Abwärtsspirale: Viele Menschen gehen nicht mehr in die Kirchen, weil sie sich nichts davon erwarten. Und noch problematischer ist, dass viele, die hingehen, dort nichts mehr erfahren. Dann ist es wirklich ein totes Ritual.